Shortlist Prix SIA: Ein Plädoyer für das zirkuläre Bauen
Shortlist Prix SIA: Ein Plädoyer für das zirkuläre Bauen
18.01.2024
Natalie Schärer

Neun Projekte und Prozesse haben es auf die Shortlist des ersten Prix SIA geschafft. Präsident Emanuel Christ erläutert das Vorgehen der Jury und ordnet die Nominierten ein.

Natalie Schärer: Mit 169 Projekten wurde an zwei Jurytagen eine gewaltige Menge an Einreichungen diskutiert und bewertet. Kann man in so kurzer Zeit ein Projekt erfassen und beurteilen?

Emanuel Christ: Alle Jurymitglieder konnten vorgängig die Dossiers sichten und studieren. Anschliessend arbeiteten wir in zwei unterschiedlichen Modi. Einerseits verschafften wir uns zu Beginn als gesamte Jury einen Überblick über alle Projekte. Dann teilten wir uns in drei Arbeitsgruppen in wechselnder Konstellation auf. Als Gruppe von je drei Jurorinnen und Juroren setzten wir uns vertieft mit allen Projekten auseinander und versuchten, eine Art erste Triage vorzunehmen. Damit war eine konzentriertere Diskussion möglich. Im kollektiven Modus glichen wir unsere provisorischen Priorisierungen miteinander ab. Und so näherten wir uns dann einer Auswahl an.

Für die Beurteilung der Projekte stützen Sie sich auf die acht Kriterien des Davos Qualitätssystem für Baukultur. Wie hat sich dieses Werkzeug in der Jurierung bis jetzt bewährt?

Das Davos Qualitätssystem für Baukultur ist ein wertvolles Werkzeug, um ein Projekt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dies half uns im Sinne einer Checkliste dabei, nicht zu einseitig an die Sache heranzugehen. Weil die Kriterien viele Aspekte abdecken, unterstützt es die Arbeitsweise einer interdisziplinären Jury, wie wir es sind. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Architektin nur für die Schönheit und ein Ingenieur nur für Ökonomie oder Funktionalität zuständig ist. Damit ist in gewisser Weise schon bei der Arbeit in der Gruppe sichergestellt, dass wir der Komplexität des Planens und Bauens gerecht werden. So gesehen hat sich das bewährt.

Was zeichnet die Projekte der Shortlist aus – was sind Gemeinsamkeiten, was sind Unterschiede?

Es ist eine grossartige Auswahl. Die neun Projekte haben ein glasklares Profil, sie sind konzeptionell scharf, inhaltlich gut gemacht und überzeugend umgesetzt. Die Nominierungen reichen von kleinmassstäblichen Entwürfen bis zu grossmassstäblichen Projekten – darunter Konzepte, die stark mit Landschaft und Natur zu tun haben, aber ebenso klassische Bauprojekte. Es gibt relevante, bemerkenswerte Neubauprojekte und auch Umbauten und Erweiterungen. Bei all diesen Unterschieden sind aber auch Gemeinsamkeiten da, wie ein Verständnis für zirkuläres Bauen im weitesten Sinne – dass man Teil eines Kreislaufs ist, wenn man baut. Hier tangieren wir eine essentielle Thematik: Wir müssen uns im Zusammenhang einer globalen Ökologie verstehen, egal, ob wir mit neuem oder altem Material bauen. Ich sehe, dass sich dieses Denken in all diesen neun Projekten widerspiegelt, sei es eben durch das physische Weiterverwenden eines Bauwerks oder das Arbeiten mit Baustoffen, die aus unmittelbarer Umgebung eines Bauprojekts kommen. Der subtile, minimale Eingriff ist auch eine mögliche Strategie, die diesem Bewusstsein entspringt. Aber wir haben deswegen keinesfalls zurückhaltende oder schüchterne Projekte ausgewählt – im Gegenteil, es ist eine Auswahl von Projekten, die alle auch einen starken, lustvollen Gestaltungswillen zeigen. Das war uns als Jury auch sehr wichtig.

Was nehmen Sie aus dieser Jurierungs-Erfahrung mit, sowohl persönlich als auch für Ihre berufliche Praxis?

Für mich ist es ein Privileg, in einer solchen Jury mitwirken zu dürfen. Ich lerne sehr viel. Auch beruflich ist es von hohem Wert, dass wir als Jury in doch sehr konzentrierter Form eine grossartige Auswahl von State of the Art-Projekten entdecken können und dass wir sehen, was in diesem Land passiert. Planen und bauen ist eine interdisziplinäre Sache, die weit über die eigene Einschätzung und die eigenen Ideen hinausgeht. Deshalb sind dieses vernetzte Denken und Wissen wichtig.

Das ganze Interview erscheint in TEC21 4/2024 vom 23. Februar und auf espazium.ch.

Die Nominierten:

Sieben Eingriffe in Monte
Umnutzung «Wohnen im ehemaligen Weinlager», Basel
Hirtenweg Siedlung, Riehen
Vision territoriale transfrontalière 2050, Grand Genève
Englische Anlagen, Bern
Energetische Sanierung Telli B & C, Aarau
Elys, Basel
Extension et rénovation de l’école primaire de Riaz
Schulhaus Allmend, Zürich-Manegg

Die nominierten Projekte werden im Rahmen der Prix SIA Talks unter den Jurymitgliedern diskutiert. Die Talks werden aufgezeichnet und sind ab Mitte März auf prixsia.ch abrufbar.